Der Gießener Haupt-Bahnhof

Der Gießener Haupt-Bahnhof

Wer jemals die profane Kreisstadt (urbs circuli oder urbs senis) Gießen zu besuchen sich erfrecht zu haben gedurft zu sollen gewollt hat, betrat den heiligen Boden auf Bahnsteig 2, wenn er von Süden kam, auf 3, wenn er von Norden kam, auf 1, wenn er von Westen kam, oder aus Stau, wenn er mit dem Stinkross kam. Wenn er aber auf dem Hauptbahnhof ankam, dann mag er wohl sinnend innegehalten und sich gefragt haben: Warum wohl heißt dieses Gebäude bitteschön Hauptbahnhof?
Nun - das kam so.
Es lebte in den sumpfigen Gemarkungen an dem Fluss Lahn, allwo die Ureinwohner mangels fruchtbarer Ernten in den Schlamm beißen, ein gar sonderbarer Heiliger, den der Heili¬genkalender Sanctus Caput nennt, nicht weil der Junge so kaputt war, sondern weil er ursprünglich mit germanischem Namen Haupt hieß. Willi Haupt. Und da er so himmlische Rittermäntel für die Sassen der Gießener Burg zu manifizieren wusste, dabei immer bescheiden blieb und die Durstigen mit einem Näpflein Bieres zu laben wusste, nannte man ihn ehrfürchtig den heiligen Haupt.
Nun ereignete es sich eines Tages, dass der heilige Haupt auf der Jagd nach guten gelben und blauen Stoffen für künftige Rittermäntel sich in den sumpfigen Lahnauen verirrte. Immer verzweifelter wurde seine Lage, schließlich brach er an den verseuchten Ufern der Wieseck zusammen, die nackte (oder meinetwegen auch bekleidete) Furcht in den Augen, ein Stoßgebet auf den Lippen - da teilte sich plötzlich das Gesträuch, und ein Uhu trat hervor, gar herrlich anzuschauen, der trug ein Kreuz auf dem Bürzel, oder einen Bürzel auf dem Kreuz, da gehen die Quellenangaben auseinander.
Verbürgt ist jedoch, dass der Uhu eine segnende Bewegung mit der linken Hinterhand machte (oder heißt es bei Greifvögeln Pfote bzw. Tatze?) und also zum heiligen Haupt sprach: "O, gräme dich nit. Du wirst errettet werden."
Da aber sank der heilige Haupt in die Knie (was ziemlich knirschte, er war ja auch nicht mehr der Jüngste) und gelobete, an dieser Stelle einen Bahnhof zu errichten. Und dieser Bahnhof wurde zu seiner Ehre mit seinem Namen bedacht und heißt seitdem

Haupt-Bahnhof.

Seitdem ist das schöne Gyssener Reych an Wundern reich: etwa, dass es zwei so wunderbare Truchsesse besitzet, auch, dass heute wieder genannter Uhu den Aha segnet und ihn dadurch sozusagen auflud, dass derselbe - und das ist der Wunder größtes - den fungierenden Oberschlaraffen erleuchtet und unfehlbar macht.