Ritterarbeit

Mein Thema lautet "Schlaraffia - eine Lebensphilosophie?"

1. Nach der herkömmlichen Methode philosophischer Hermeneutik gilt es zunächst, diese Begriffe zu definieren um ihre Kongruenz zu überprüfen. Das Fragezeichen im Thema betrachte ich als ausdrückliche Aufforderung, diese Prüfung vorzunehmen.

Zu den Begriffen:
Philosophie stammt aus dem griechischen und bedeutet "Liebe zur Weisheit" (der Wortstamm ist uns aus einer Vielzahl von Begriffen bekannt wie Philologie, Pädophilie oder Philodendron). Die Philosophie bezeichnet das Streben des menschlichen Geistes, das Wesen und die Zusammenhänge des Seins, der gültigen Werte und damit der Grundsätze von Lebensführung und Daseinsgestaltung zu erkennen. Die Philosophie richtet sich auf das Ganze der Wirklichkeit; sie zielt auf Grundbestimmung und Gesamtzusammenhänge, während Einzelwissenschaften auf bestimmte, umgrenzte Einzelbereiche und Fragestellungen abzielen. Schlaraffia ist die innige Gemeinschaft von Männern, die in gleichgesinntem Streben die Pflege der Kunst und des Humors unter gewissenhafter Beachtung eines gebotenen Ceremoniales bezweckt und deren Hauptgrundsatz die Hochhaltung der Freundschaft ist.
Nach dieser antithetischen Definition folgt die Synthese:
Philosophie umschreibt in weitestem Sinne Verstand und Geist, Schlaraffia dagegen Gefühl und Herz. Die Einbeziehung des Begriffs "Leben" in Lebensphilosophie erfordert aber die Zusammenführung von beidem. ein Lebewesen braucht sowohl Verstand und Gefühl wie Hirn und Herz für seine Existenz. demnach ist zweifelsfrei die Schlaraffia ebenso eine Lebensphilosophie wie die Philosophie eine Lebens-Schlaraffia; wobei ich eigentlich die an mich gestellte Frage mit einem schlichten "ja" beantwortet und mich damit meiner Aufgabe bereits an dieser Stelle entledigt habe.

2. Andererseits ist die Betrachtung solcher Schlaraffenphilosophie vielleicht doch etwas zu vergeistigt. Ich will mich deshalb in einem zweiten Schritt in die Tradition des großen Roda Roda stellen, der in seiner Geschichte von Diogenes die Philosophie entmythologisiert und ihr etwas von ihrem Glanz genommen hat. Wir kennen die Story: als Alexander der Große bewundernd den in seiner Tonne meditierenden Diogenes nach seinen Wünschen fragt, antwortet der Philosoph nur: "Geh mir aus der Sonne". Die Geschichte hat bei Roda Roda folgende Fortsetzung: "Was?" schreit der nachträglich informierte Diogenes verzweifelt auf, "das war der große Alexander? Ja, wenn ich das gewußt hätte, hätte ich mir natürlich ein richtiges Haus gewünscht." Wir lernen daraus: auch der klügste Kopf sitzt auf einem bedürftigen und genußsüchtigen Körper, der nach Wohlbefinden ebenso wie nach Kunst und Humor lechzt. Fazit: alle Philosophen sind letztlich auch irgendwie Schlaraffen.

3. Sind alle Schlaraffen dementsprechend im Umkehrschluß auch Philosophen? Meine Ehrfurcht vor und meine Zuneigung zu euch hindert mich daran, auf diese Frage näher einzugehen.

4. Da alle Philosophie ihren Ursprung findet im Kopf bzw. in den Augen eines Philosophen, der über die Zusammenhänge und die Ganzheit des Lebens von seiner Situation ausgehend nachdenkt (aus welcher Position denn auch sonst?), will ich auch diesen Schritt nachvollziehen und das Thema personalisieren.
Ich schreite also weiter in meiner Beweisführung:
a) Bin ich ein Schlaraffe?
Zweifellos, denn ich habe nach § 21 Ziffer 1 des Schlaraffenspiegels Aufnahme als Sasse in einem Reych, nämlich dem der weithin gerühmten und glanzvollen Reych derer zu den Gyssen gefunden.
b) Bin ich ein LebensPhilosoph?
Auch das trifft zweifellos zu. Ich versuche auf ganzheitlichem Wege mein Leben, also die Lebensführung als im weitesten Sinne, schon als im Innersten angelegt und vorbestimmt zu erklären. Diese Lebensphilosophie gipfelt - zumindest nach Auffassung meiner Burgfrau - in dem von mir an dieser Stelle vorgetragenen "Dotzheimer Plusquamperfekt“ – (Dotzheim ist ein Mainzer Vorort mit sozialem Brennpunktcharakter), das in der Feststellung seinen Höhepunkt findet: „Ich war es nicht gewesen!"

5. Das leitet zur uns Kernfrage: ist die Schlaraffia meine Lebensphilosophie? (welche Aussage ich letztlich als einzige verbindlich treffen kann und mit der, wie mir scheint, Uhu den Geist des themenstellenden Fungierenden eigentlich hat erleuchten wollen).
Hier wird es kritisch. Da ich zunächst weder ja noch nein sagen mag, hole ich zunächst einmal weit aus. Das Leben. über das ich hier philosophiere. ist ja keine glatte Einphasen-Wegstrecke. sondern ein gewundener Pfad, der mit einer Unzahl von Elementen verknüpft ist; ich nenne nur Geburt, Schule, Bildung, Sport, Beruf, Liebe, Freude, Schmerz, Krankheit, Religion oder Tod. Das Leben spielt sich demnach in einer Vielzahl von Zusammenhängen ab; in Familie, Beruf. Firma, Vereinen. Freundeskreisen. Kirchen, in lieben und lästigen Gewohnheiten und Verpflichtungen. Es wäre sicherlich keine Mühe. über diesen ganzen Lebenskreis eine schlaraffische Gesamterklärung zu stülpen, wie das ja viele Bewegungen mit sehr viel weniger Hintergrund gerne tun. Aber wem oder was soll das dienen?
Auch wenn ich möglicherweise als Schlaraffe enden werde, bin ich doch nicht als solcher geboren. Gemäß § 22 des Schlaraffenspiegels bin ich vielmehr als Mann im reifen Lebensalter. von unbescholtenem Rufe (zumindest ist nichts Gegenteiliges bekannt geworden) und in gesicherter Stellung zur Schlaraffia gestoßen. Ich habe also schon, bevor ich überhaupt etwas von Schlaraffia wußte, ein erfülltes Leben geführt, das keiner besonderen philosophischen Begründung bedurfte. Der Beitritt zur Schlaraffia bereichert dieses Leben zwar und dehnt den Terminkalender weiter aus, ruft aber eigentlich keine philosophischen Regungen in mir hervor.
Im Gegenteil. während ich sonst rational und beherrscht durch das Leben schreite (als Staatsbürger, Beamter, Ehemann, Vater, Vorsitzender, Kollege und was immer sonst) und dabei, unter der Last der Verantwortung ächzend, häufig über Schein und Sein des Daseins philosophiere - also ganzheitliche Erklärungen suche - fällt dieses alles von mir ab, wenn ich zu den Schlaraffen gehe: Dann dominieren nur Gefühl und Herz. Ich brauche hier keine philosophischen Begründungen über den Spiegel hinaus und sie würden mich auch eher stören, weil Schlaraffia eigentlich nichts Rationales an sich hat und mir eher als eine Antithese zu unserer profanen Welt erscheint. Wie verrückt dagegen diese profane Welt ist, zeigt sie schon dadurch, daß sie uns Schlaraffen für verrückt erklärt. Dabei suchen und finden wir hier nur ein abgeschiedenes, aber warmes Nest von Freundschaft, Kunst, Musik, Humor und Ernst, wobei unser Rittermantel alle profanen Unterschiede mildtätig zudeckt und letztlich nur das Herz gelten läßt. Nicht das geschliffene Wort alleine, die Virtuosität der Finger, der scharfe Verstand oder die goldene Kehle machen alleine das Ansehen eines Schlaraffen aus all das gewinnt nur zusammen mit Herzlichkeit einen Wert.

6. Wozu braucht es da einer höheren philosophischen Begründung. Laßt uns im Gegenteil die Philosophen zusammen mit der übrigen Welt vor der martialischen Fassade unserer Burgen und Schwerter, vor unserer demonstrativen Kampfeslust und dem ritterlichen Hochmut aussperren und sie auf Abstand halten und uns hinter dieser Fassade einem schalkhaften Lachen hingeben - zumindest in den meisten Fällen.
Ich behaupte hier deshalb aus tiefer Überzeugung: Schlaraffia braucht keine Philosophie, sie ist auch keine Philosophie - sie ist nur und alleine Schlaraffia und nur und alleine aus sich heraus erklärbar.

7. Alteingesessene Schlaraffengeschlechter mögen das differenzierter sehen. Wessen Urväter, Taufpaten, Spielgefährten, Kommilitonen bereits Schlaraffen gewesen sind, für den kann Schlaraffia die Welt sein und sich damit als ein ganzheitlich erklärungsbedürftiges Phänomen für alle Lebenssituation darstellen. Aber wer hat schon das Glück, zu diesem erlesenen Kreis zu gehören. Der schlaraffische Nachwuchs unserer Zeit nur in den seltensten Fällen. Vielleicht erklären sich so manche Unterschiede der schlaraffischen Auffassung, der Einstellung zur Schlaraffia.
Vielleicht ist es richtig, das es immer zwei Wirklichkeiten gibt, die nur gemeinsam das Ganze sind: das alte Reych, die alte Schlaraffia, die langsam in der Zeit entschwinden und eine neuer Bund, dem die Zukunft gehört. Während die alte Schlaraffia mit ihren Vollzeitschlaraffen langsam verblaßt, entsteht möglicherweise ein neuer Bund mit einem neuen Typ von Schlaraffen: eine Art Teilzeitschlaraffe, der eingeschränkt durch berufliche Aktivitäten, sportlichen Ehrgeiz, vielerlei Verpflichtungen und emanzipierte Ehefrauen mehr ganzheitlich und lustbetont zur Schlaraffia steht. Er muß der schlechteste Schlaraffe nicht sein.
Denn, wenn ihm die Schlaraffia nicht grundlegende Lebensphilosophie ist, so ist sie ihm doch eine seiner Lebensgrundlagen und zugleich eine Option auf seinen Beitritt zum alten Reych: in seinem späteren Dasein, wenn er stärker Freunde, Wärme, Zuwendung, Anerkennung, Anregung und Anreiz braucht, steht es ihm jederzeit frei, ein ganzheitlich philosophischer Schlaraffe oder schlaraffischer Philosoph zu werden oder auch ein schlaraffischer Schlaraffe oder sogar Berufsschlaraffe. Es wird ihm immer offenstehen, das Spiel als Spiel zu betreiben, er kann es a ber auch Philosophisch angehen, ganzheitlich oder auch mit bitterem Ernst. Es liegt letztlich an jedem selbst. Jeder ist hier im wahrsten Sinne des Wortes seines Glückes Schmid.
Schlaraffia entzieht sich letztlich der profanen Welt des Begrifflichen und ist mit den Mitteln der Philosophie und der Wissenschaften nicht zu erfassen. So wie sich unser Schlaraffenspiegel zugleich begründend wie verfremdend über unser Spiel legt und den Blick des Außenstehenden abschirmt. liegen unsere Reyche als Inseln in einem Nebelmeer, in dem wir sie nur mit unseren Herzen erreichen und für Augenblicke sichtbar für unsere Augen im Glanze der Sonne liegen sehen. Den Unwissenden bleiben sie im Nebel fest verborgen. Es ist wie mit Avalon - wer die Insel der Seeligen mit dem Verstand zu erreichen trachtet, dem entschwindet sie um so mehr, je stärker er sich darum bemüht. Das Herz alleine erschließt dem Wissenden den Zutritt. Die profane Welt aber mit ihren vernünftigen und logischen Begriffen bleibt im Nebel der Ratio zurück; sie hat zu unserer Insel keinen Zutritt.

8. Womit ich die an mich gestellte Frage luzide, klar und eindeutig beantwortet habe.

Laßt mich zum Schluss mein persönliches, schlaraffisch-philosophisches Bekenntnis in einem Schüttelreim darstellen:
Könnt' ich nur unter Schmerzen her
Schlaraffia bleibt mein Herzenschmeer.