Der Nachbar

Dialog zwischen Ritter Hägar und Ritter Boni
in der Rolle von Hägars ehrgeizigem Nachbarn

Der Nachbar

BONI:
Verehrter Nachbar, darf ich’s wagen
Ein Anliegen euch vorzutragen?
Ich hörte jüngst, ihr wärt Schlaraffe.
Nun plant ich längst, wenn ich es schaffe,
Selbst diesem Bunde beizutreten.
Hab alles: Haus und viel Moneten:
Hab aber, weil in die Jahr‘ gekommen
Vom allen Lastern Abstand genommen.
Alles im Leben hat seine Zeit!
Jetzt ziemt mir mehr reife Sittlichkeit.
Doch Tugend allein macht die Zeit recht lang.
Zu neuen Ufern geht deshalb mein Drang.
Den Bund der Schlaraffen hab ich im Visier;
Ihr sucht doch nach Leuten mit Geld, so wie mir.
Ach, könnt ihr mich dort nicht empfehlen?

HÄGAR:
Herr Nachbar, laßt’s mich so zu quälen.
Schlaraffia ist kein Zeitvertreib,
Sie fordert uns mit Geist und Leib!
Verschont mich doch mit dem Begehr!
Ihr seid mein Nachbar - und nicht mehr.

BONI:
Herr Nachbar, Herr Nachbar, hört ihr denn nicht
Was ein armer Pilger euch alles verspricht?
Ich bitte euch, helft mit in euren Bund.
Überschreib euch auch Vermögen und Grund
Und meine Töchter, drunten am Rain,
Die sollen eure Gespielinnen sein.

HÄGAR:
Ach, redet doch nicht so frivol und gewagt.
Schlaraffen seh'n die Frau doch mehr als Magd!
Nicht Geld und Töchter öffnen euch die Tür:
Das, was ihr könnt allein, ist wichtig hier.
Denn das große, das hehre Ritterspiel
Braucht Talente, und davon gibt es nicht viel.
Kunst, Freundschaft und auch der Humor
Sind Tugend uns, vor allen Dingen.
Musik und Spiel erfreuen Herz und Ohr.
Wer vieles bringt, kann vielen etwas bringen!
Zu einem sei man dabei stets bereit:
Zu Maß und Ziel. Man spielt mit Nüchternheit.

BONI:
So ist‘s bei mir! Ich trinke nichts als Wasser.

HÄGAR:
(zu sich) Uhu! Ach, dieser Kerl wirkt immer blasser.
(zu Boni) Wir brauchen schillernde Persönlichkeiten,
Die im Duell mit Geist und Witz sich streiten.
Nicht euch, der als gemein-profaner Wicht
Mir stets und immer nach dem Munde spricht.

BONI:
(zu sich) Mein Gott, jetzt soll ich auch noch duellieren?
Ich muss die Rede rasch zu andren Themen führen.

(zu Hägar) Mit Weib, Wein und Gesang tat ich in langen Jahren
Viel und erstrebenswertes doch erfahren.
Ich könnte davon allerlei berichten
Und weiß von allen Arten die Gehschichten.
Sollt ich, Herr Nachbar, balde mit euch sippen,
Käm auch ein schlüpfrig Wort mir schon mal von den Lippen.
Das ist, hoff‘ ich, nicht gegen eure Sitten?

HÄGAR:
Mein lieber Freund! Ich muss doch herzlich bitten.
Moral und Anstand sind bei uns stets angesagt.
Lasst deshalb alles, was und missbehagt.
Oft bringt „Frau Wirtin“ unsren Thron in Nöte:
Ein Vers von Hägar – und er glüht in Röte.
Ins Burgverlies fliegt Hägar jedes Mal.
Beachtet: furchtbar ist des Thrones Zornes-Strahl.
Ihr solltet tunlichst selbiges vermeiden!

BONI:
Will im Verließ nicht Durst und Hunger leiden!
Will drum nur zücht’ge Reden bringen,
Auch gerne fromme Psalmen singen.
Doch etwas muss ich tun, was euch erfreut
Und gnädig stimmt die strengen Rittersleut‘.
Was könnt‘ ich Armer euch denn sonst noch bringen?

HÄGAR:
Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet‘s nie erringen.
Im Übrigen – euch fehlt schon die Statur
(Habt ihr, vom Mütterlein(?) auch Frohnatur).
Betrachtet nur im Saal die Ritter hier,
Die groß und schön und stark – und nicht wie ihr.
Zunächst: als Ritter müsst ihr aufrecht gehen
Und nicht als Fragezeichen in der Gegend stehn.
Fehlt Größe – macht das wett mit andern Dingen!

BONI:
Da fällt mir ein, ich kann ja singen.

HÄGAR
Hört auf, hört auf! Das macht Beschwerden.
Zwar könnte das die Richtung werden
Die unsre Ritter von den Gyssen
Bewegt, dass sie euch nehmen müssen.
Doch seid gewarnt: es wird euch nie gelingen,
Im Wettstreit unsren Boni zu bezwingen!

BONI:
(zu sich) So bringt mein Mühen mir erhofften Lohn!
Seh‘ mich als Ritter sippen schon.

(zu Hägar) Nun frag ich euch: Was könnt ich bei euch werden?

HÄGAR:
(zu sich) der Bursche macht mir noch Beschwerden!
Kaum sieht er Land, muss er nach Ämtern schielen
Und da er Maß und Ziel nicht hat,
Will wieder einmal ich den Teufel spielen.

(zu Boni) Da wär‘ das Amt des Oberschlaraffen,
Für euch geradezu wie erschaffen.
Der Geist des hohen Throns ist leicht zu fassen:
Er malträtiert das Reych und alle Welt,
Um es am Ende tun zu lassen
Was ihm gefällt.
Vergebens, wenn ihr in die Höhe schweift.
Man bringt dort nur, was jeder weiß und kann.
Doch wer den Aha oft beherzt ergreift
Ist auf dem Thron der rechte Mann.
Doch wem’s gelang, dies Amt einmal zu kriegen
Wer dort regierte eine längre Zeit,
der bleibt, auch wenn er längst herabgestiegen
Zur Freude aller „Überherrlichkeit“!

BONI:
Verzeiht, ich halt euch auf mit vielen Fragen.
Allein, ich muss euch noch bemuhn:
Könnt ihr mir von des Truchsess‘ Tun
Nicht auch ein kräftig Wörtlein sagen?

HÄGAR:
Mein teurer Freund! Nicht, gar nichts ist mir lieber!
Steht schon der Thron als Gipfel aufgericht‘,
Der Truchsess strahlt als Sonne hoch darüber:
Der Thron erglänzt allein in seinem Licht.
Den Geist Uhus bringt er herab zum Throne,
Den er empfing auf unsres Turmes Höh'n.
Und macht den ordinären Uhu-Sohne
Zur Herrlichkeit – klug, stark und schön.

BONI:
Die Sonne Truchsess! Nie hört‘ ich dergleichen.
Bin ich erst Ritter, muss ich das erreichen.
Wie komm‘ ich dorthin? Sagt mir, wann und wie?

HÄGAR:
Grau, teurer Freund, ist alle Theorie,
Grün des Schlaraffen schöner Traum.
Zum Amt des Truchsessen könnt ihr nicht streben.
Es scheiterten die meisten vor euch schon:
Es wird dies Amt von Uhu selbst gegeben!
Bescheidet euch. Begnügt euch mit dem Thron.

BONI:
Ich will dort stets mein bestes geben
Und werde dann mit Geistesblitzen
Alle erstaunen, die unten sitzen:
Rufe „Ehe“ und lass einen heben!

HÄGAR:
Ihr macht das schon gut, voller Geist und Gewicht.
Besser kann es der Thron hier auch heute nicht.

BONI:
Ich sehe mich schon auf dem Thron
Und hätte den rechten Begrüssungston:
(zum Saal) Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch‘ ich wohl, euch diesmal festzuhalten,
Fühl ich mein Herz nach jenem Wohl geneigt?

(zu sich) Da wär’ das Reych schon hier in großen Nöten,
Denn dieser Satz ist original von Goethen.
Und deshalb.....

HÄGAR:
Noch seid ihr nicht aufgenommen!
Obwohl. Es sind schon andre gekommen
Denen‘s an Geist und Feuer gefehlt.
Man hat sie an der Junkertafel gestählt!
Dann haben sie Hägars Schule duchlaufen
Und können heut‘ dichten und lärmen und raufen.
Als passable Ritter sind sie heute zu sehn
Warum soll es mit euch nicht auch so gehen?

BONI:
Glaubt mir, ich werde mein bestes geben.
Ich verändere alles in meinem Leben.

HÄGAR:
Also gut. Geld habt ihr , ihr sagt‘ es, zu Hauf,
Und ein bischen Talent. Also nehm’n wir euch auf.
Ihr könnt kommen!

BONI:
Da bin ich jetzt aber froh.

HÄGAR:
Nun ja, ihr seid doch noch etwas roh.
Junkermeister Hägar bei den wackeren Gyssen
Wird euch ziemlich formen und schleifen müssen,
Bis die profanen Schlacken entfernt.

BONI:
Ich dulde es gerne. Bis ich alles gelernt.

HÄGAR:
Nun kommt als Pilger in unser Reych.
Auf dem Gleyberg seht ihr viele Freunde sogleich.
Schaut euch um, wie sie alle vor euch sitzen,
Mit bunten Mänteln und lustigen Mützen.
Hat’s jemals im Leben, denkt ihr zurück
Was schönres gegeben vor eurem Blick?
Begrüßt nun die Ritter, die Freunde, die neuen.
Redet nicht. Singt! Das tut mehr erfreuen.