an Jk Dieter zu seinem Ritterschlag am 16. im Lenzmond a.U.160

Hochweise Allschraffenräte,
Hochverehrter Deutscher Schlaraffenrat,
Ehrenritter und Landgrafen unseres Reyches,
Edle und Barone vom Gleyberg,
Ritter, Junker und Knappen,
Tross, Gäste und Freunde-
In Sunderheit, Ihr Junker Dieter, hört !

 Fünf Jahre ist es nun her, seit wir auf unserer Festung Gleyberg den letzten Ritterschlag zelebrieren durften. Unser Ambtsbruder Pepp hat seine überaus feierliche Rede zum Ritterschlag damals begonnen mit den Worten
„Festlich klingen Hochgesänge und Trometen fallen ein,
schweben Pragas Wunderklänge in die Sternennacht hinein.
Denn in Uhus heiliger Halle wird ein Bruder Ritter sein.“

Das ist die festliche Einleitung zu unserem Klang 105 „Ritterschlag“.

In Uhus heiliger Halle! Und da steht ihr nun, Junker Dieter, mit maximalem Puls, roten Ohren und großen Augen und harrt der Dinge, die gleich über euch kommen werden. Auch die Ritter unseres Reychs sind in gleicher Weise aufgewühlt: wird mit euch doch endlich wieder ein junger Recke Platz an unserer Rittertafel nehmen und dem Reych mit seinem frischen Mut und seinen jugendlich-ungestümen Kräften die Ergänzung und Auffrischung bringen, derer es so dringend bedarf.

Wir wollen freimütig zugeben: wir beneiden euch am heutigen Tag, Junker Dieter. Ist es doch fast genau 32 Jahrungen her, dass wir selbst an dieser Stelle standen, zusammen mit unserem treuen Freund und Gefährten in all diesen langen Jahren, Ritter Fürst Walnuss. Wie haben wir damals die Barone, Grafen und Fürsten in all ihrem Glanz und mit ihren zahllosen Tituln, Orden und Ehrenzeichen bewundert und uns gewünscht, auch einmal so zu werden. Und nun stehen wir beide hier, tragen schwer nicht nur an unserem Alter, sondern auch an unseren Auszeichnungen, sind Fürsten und Oberschlaraffen und wären lieber noch einmal so jung wie ihr, Junker Dieter, und würden gerne noch einmal, ganz unbelastet von allem Glanz, Flitter, Ämbtern und Verantwortung ganz von vorne anfangen, um die schlaraffische aufs Neue zu erobern zu. Schön war die Zeit! Aber sie ist vorbei und es wachsen junge Kräfte nach, die uns ersetzen werden. So ist der ewige Gang, nicht nur der profanen, sondern genauso der schlaraffischen Welt, dem auch ihr, Junker Dieter euch stellen müsst. Aber am heutigen Tag soll für euch nur das Hier und Jetzt gelten und dieser Tag soll ein reiner Freudentag sein, für euch wie für das fröhliche Schlaraffenreych derer zu den Gyssen.

Schlaraffe werden, die profanen Schlacken abschütteln, in eine so ganz andere Welt eintreten, ist oft nicht ganz einfach. Das war es auch nicht für euch und ihr, Junker Dieter, habt es euch auch nicht leichtgemacht mit dem Einleben in unseren Bund. Ihr seid nur langsam warmgelaufen und habt immer wieder gezweifelt, ob Schlaraffia das richtige für euch ist. Wir halten es für das schlechteste nicht, zu zweifeln und sich einen solchen Schritt sehr genau zu überlegen.

Denn Schlaraffenwerden bedeutet in der Tat eine weitreichende und das künftige Leben nicht unerheblich prägende Entscheidung. Man darf sie nicht leichthin treffen, sondern soll sich ernstlich prüfen, ob man das will und kann. Insofern haben wir eure Zweifel gut verstehen können, zumal euer Anfang nicht nur von Erfolgserlebnissen geprägt war. Wir denken an Gespräche am Ende der letzten Winterung, in der ihr uns eure Zweifel geschildert habt. Ihr hattet da gerade einen Auftritt bei eurer Knappenprüfung hinter euch, über den ihr unglücklich wart. Wir haben euch damals versucht klarzumachen, dass die schlaraffische Jugend ja gerade den Freiraum hat und haben muss, um zu testen, um auszuprobieren, um die eigenen Grenzen und die des Reychs auszuloten, um sozusagen aufs hohe Seil zu steigen und zu erfahren, ob man sich oben halten kann. Was macht da ein Absturz? Wenig! Man klettert wieder hoch und probiert es aufs Neue. Nur so lernt man, was man kann, bringen kann und was ankommt.

Wir haben als Junkermeister, der wir in zwölf langen Jahrungen im Gyssen-Reych gewesen sind, immer gepredigt: nicht das Publikum soll sich amüsieren, sondern ihr selbst müsst euch an eurem Vortrag erfreuen und Spaß haben. Denn nur dann, davon sind wir weiter überzeugt, kann der Funke auf Zuhörer oder Zuschauer überspringen.

Wir haben bei euch gesehen: ihr wollt spielen, und wenn gespielt wird blüht ihr auf uns seid mittendrin im Spiel. Euer, und nicht nur euer Problem ist nur: es wird zu wenig gespielt. Unsere Sippungen bestehen oft sehr aus Formalia, feierlichen Handlungen und – was wir als 68er schon damals an universitären Vorlesungen kritisiert hatten, am langatmigen Vorlesen älterer Texte. In so eine, oft statisch wirkende Welt muss man sich erst mal reinfindet und die Räume zur eigenen Entfaltung und Verwirklichung finden.

Damit sind wir vielleicht bei dem Grundproblem der heutigen Schlaraffia angekommen. Sie ist ein Verein älterer, um nicht zu sagen alter Männer geworden. Alte und schwerhörige Herrschaften treffen sich dort vor ihren Mineralwässern. Da müssen wir uns leider selbst einschließen. Das ist ja an und für sich nichts Schlimmes. Das Alter hat andere Bedürfnisse als die Jugend (die wir großzügig als die berufstätigen unter 60-jährigen definieren wollen). Aber das zieht so nicht unbedingt die jungen Leute an, den Nachwuchs, den wir so dringend bräuchten.

Wir wissen nicht, wie unsere Gründerväter, auf die wir uns oft und gerne berufen – Raps, Graf Gleichen und andere - reagieren würden, wenn sie in eine heutige Sippung kämen. Sie würden, wir sagen das hier bewusst sehr zurückhaltend, staunen. Es waren damals überwiegend junge Theaterleute, die sich gegen überkommen Muff wehrten, soffen, Spaß haben wollten und im Spiel die Sitten der damaligen autoritären, engen und intoleranten profanen Welt veralberten. Worte waren Schall, ein Zeremoniell Parodie, Orden und Ehrenzeichen Rauch und die Welt war groß. Das Spiel war Parodie, war Spaß, war attraktiv und verbreitete sich deshalb rasch.

Aber die Theaterleute sind inzwischen zu seltenen Erscheinungen in einer Schicht von Bürgerlichen, Handwerkern und Kaufleuten gewichen. Viele gut situierte Rentner gibt es bei uns mit viel Zeit. Das hat Folgen. Das Bürgertum schätzt, wie das Alter, feste Regeln und Abläufe. Die Leichtigkeit geht dahin. Große Festveranstaltungen zum Zuhören werden geschätzt, auch wenn sie langweilig sind. Für das Spielen hat man weniger Lust und Zeit. Die Handschuhe verstauben. Die Schwerter rosten. Die Burgverliese veröden, werden geputzt und sind warm und gemütlich. Der Sippungsablauf folgt festen Regeln und langen Abläufen. Feierlichkeiten, Feste, Themensippungen, Ehrungen dominieren. Das freie Spiel der Kräfte, Spontaneität und Überraschungen sind gelegentlich noch da, aber leider viel zu selten geworden.

Ja, was ist in den 160 Jahren unseres Bestehens aus uns geworden? Schlaraffia scheint heute manchmal zur Parodie der Parodie unserer Gründerväter geworden sein. Viele glauben, sie seien wirklich Fürsten und Grafen und ihre Orden und Titul seien echt. Junker Dieter: Lasst euch davon nicht beeindrucken! Wir spielen ein Spiel, wir tun nur so als ob, seid euch das stets erinnerlich! Aller Glanz und Pracht entfaltet sich nur zwischen den Tamtamschlägen. Davor und danach verwandelt sich die schlaraffische Herrlichkeit in Normalität und alle sind gleich und gleichberechtigt.

Nehmt euch als Schlaraffe nicht zu ernst. Lacht lieber über euch selbst als über andere. Arbeitet mit Selbstironie. Sippt und fext mit Spaß am Spielen. Es genügt oft ein kleiner Anstoß, und alles verändert sich und wir alle werden wieder jung!

Wie bringen der profanen Welt unser Spiel näher, um Interessenten für uns zu finden? Es entsteht zum Beispiel mit dem Poetry Slam in der profanen Welt etwas, das dem, was wir machen, sehr ähnlich ist – wenn auch in zeitgemäßem Rahmen. Keiner muss schließlich heute mehr den Adel und die Obrigkeit parodieren und veralbern. Man schlägt inzwischen andere Schlachten. Wir sollten das ab und zu zur Kenntnis nehmen. Wir plädieren gar nicht für eine grundlegende Veränderung unseres Spiels. Aber wir sollten uns auch neuen Formen öffnen und neue Interessentengruppen erschließen. Es besteht nämlich offensichtlich auch in unserer modernen, technisierten und digitalen Welt nach wie vor ein starkes Bedürfnis nach Innerlichkeit, nach geistigen Frei- und Andersräumen und nach Poesie. Hier müssen wir irgendwie ansetzen.

Eure Ritterarbeit, Junker Dieter hat uns aus einem Grund gut gefallen. Sie war sicher kein wissenschaftliches Werk. Sie war eher schmal. Sie hat an keinen unserer Grundfesten gerüttelt. Aber sie hat uns gefallen, weil ihr in euerer Wortwahl überaus poetisch wart. Ihr habt Schlaraffia direkt angesprochen: Liebe Schlaraffia! Schlaraffia, was gibst du mir? Schlaraffia, was kann ich dir geben? Wir meinen, ihr seid mit dieser Ritterarbeit endlich über die Grenze getreten, die jeder junge Schlaraffe überwinden muss.

Es ist die Grenze zwischen der profanen Wirklichkeit und der schlaraffischen Wahrheit. Der Unwissenden tritt in unsere Welt ein und sein profanes Auge sieht nur Nebel und kann durch ihn nichts erkennen. Der Wissende – zu denen ihr einmal zählen wollt – schreitet durch diese Nebel hindurch und vor ihm steht an der Stelle eines tristen Industrieschuppens eine stolze ummauerte Burg mit Turm, Zinnen Fallbrücke und Graben und in ihrem Rittersaal treffen sich Dichter, Sänger und strahlend schöne Helden zum edlen Wettstreit.

Damit diese Verwandlung in unserem Bewusstsein stattfindet, müssen wir uns aber alle bemühen und stets den besonderen Augenblick, das Momentum suchen – andere nennen es den güldenen Ball spielen – in dem alles leicht wird und von dem wir dann wünschen, er möge niemals enden. Aber es kann immer nur ein Augenblick sein. Den findet man nicht bei der Verlesung älterer Manuskripte von der Rostra, sondern im Spielen, im Improvisieren, im fröhlichen verbalen Schlagabtausch, in der Schaffung überraschender Situationen, dem feierlichen Veralbern profaner Sitten und so fort. Das Spiel wird am schönsten, wenn alle ihre Kenntnisse und Fähigkeiten spielerisch in Gebiete und Themen einbringen, die dafür eigentlich völlig ungeeignet sind.

Bringt also frischen Wind in unser Spiel. Wer, wenn nicht die Neuen? Scheut nicht das offene Wort! Trotzt dem Thron – wenn auch in der Form, die Spiegel und Ceremoniale vorgeben, da ist Freiraum genug. Wir plädieren übrigens nur für Auffrischung und Erneuerung, keineswegs für Revolution.

Es ist eine riesige Aufgabe. Lasst euch nicht entmutigen, Junker Dieter und ihr anderen Jungen und Junggebliebenen in unserem Bund! Schlaraffia ist in vieler Hinsicht immer noch überaus attraktiv. Wir müssen nur Freiräume schaffen, ausprobieren, machen. Wir müssen uns einbringen!

Wir können Euch dabei versichern: Als Schlaraffe wächst man mit seinen Aufgaben. Noch jeder, der hier auf dem Gleyberg zum Ritter geschlagen wurde, hat seine Rolle gefunden und trägt auf seine Weise etwas zum schlaraffischen Spiel bei. Ihr werdet Euren Weg und Eure schlaraffische Berufung finden, das kann jeder, der hier heute steht und Euch gleich zujubeln wird, bestätigen. Ihr müsst Euch nur trauen. Auch das ist vielleicht eines der Geheimnisse von Schlaraffia: Unser Spiel weckt Talente, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass sie in uns schlummern.

Viele edle Recken aus Nah und Fern und werte Gäste haben sich heute auf dem Gleyberg versammelt, um gemeinsam mit Euch Euren Ritterschlag zu erleben.

Das ist ein großartiger und feyerlicher Moment im Leben eines jungen Schlaraffen. Wenn in wenigen Augenblicken in der Stille des Rittersaales der Ruf erklingt: „Steht auf Ihr seid Ritter“, so seid Ihr fürderhin angehalten, euch für Blühen, Gedeihen und Erneuerung unserer Schlaraffia zu engagieren und zu arbeiten, und das nun in voller Eigenverantwortung und ohne die von euch sicher oft verwünschte Gängelung durch den allzeit Gestrengen, Euren Junkermeisters. Der tritt aber dafür auch nicht mehr für euch ein, wenn ihr Unsinn macht.

Heute rückt die Ritterschaft unseres Reyches an der Rittertafel eng zusammen, um für Euch Platz zu schaffen, so wie auch Ihr an der Junkertafel Platz schaffen sollt für die, die nach Euch zu uns kommen werden. Mögen das helle Scharen sein! Arbeitet als Ritter dafür, dass es gelingt. Punktum!

 

Es folgt der Ritterschlag.