Hägar zu seiner GU-Feyer am 28. im Lethemond a.U.163

Liebe Freunde!

  1. Als ich vor vielen Jahren als Truchseß die Feyer zur 33-jährigen Mitgliedschaft unseres Ritters Fugato (dem profanen Orgelbauer Otto Heuß aus Lich) eröffnete, sagte ich:

    Da stehst du nun, bist Fürst und bist ganz oben,
    glaubst kaum, wie rasch die Zeit vorbei gezischt.
    Du kannst den Tag am Abend endlich loben
    und tätest es am Morgen lieber nicht.


    Da steht man nun und das Leben ist vorbeigerauscht.
    Wenn man doch noch einmal von vorne anfangen könnte! Unser Knappe 161 hat das beherzigt, seinen Ritterwürde niedergelegt, sitzt jetzt an unserer Junkertafel und darf sich dort wie ein Kleinkind bzw. wie ein geistig Minderbemittelter behandeln lassen. Doch lernt er auch, dass man zwar die schlaraffische Jugend zurückgewinnen kann, nicht jedoch die Jugend des Lebensalters. Man hat Lebenserfahrung und weiß, wo und wie alles endet. Man hat die jugendliche Unbefangenheit des 30 – oder 40-jährigen verloren.

  2. Ich bin vor genau 38 Jahren und mit 41 Jahren Schlaraffe geworden. Damals war die Schlaraffia einen andere. An der Junkertafel saß neben mir der junge Knappe 92, heute Rt Großfürst Walnuss, sowie die heutigen Rt Thaler und Reisewitz. Dazu Spirrlifix, später der junge Rolando. Marschall war erst der junge Rt Stückche, der bald auf den Thron aufstieg und sein Nachfolger Rt Frappant. Die Alten waren in den Sechzigern und durchaus noch im Besitz ihrer Manneskraft. In den Sippungen ging oft die Post ab. Schwejk auf dem Thron konnte das Reych oft nur durch Androhung der „kreuzförmigen Bastonade“ im Zaum halten.
    Unser Junkermeister Mon Cherie trieben wir in die Verzweiflung, weil wir ihm für unsere wirklich großartige Junkernachtung immer ein dröges Schauspiel vorführten. Kurz: wir haben vor allem viel Blödsinn gemacht. Ich habe immer noch das Bild vor Augen, wie Ebigon nach einem solchen Abend auf dem Thron stand, allem irdischen entrückt und den Humpen gen Himmel hob. Heute schon wegen der Deckenhöhe undenkbar.
  1. Mein Freund und Gefährte an der Junkertafel, Walnuss, blieb im Land und pflegte die Verbindung zwischen den hiesigen Reychen und kümmerte sich, bald auf dem Thron, um den Fortgang unseres Reychs.
    Ich dagegen zog hinaus, immer auf der Suche nach der schlaraffischen Wunderwelt, dem Augenblick, der nie vergehen soll, wenn alles leicht wird und eine Runde im Gleichklang vereint zu sein scheint, dem Momentum. Dieses Momentum, dem Flug des güldenen Balls, wie wir so schön zu sagen pflegen, habe ich auf diesen Reisen so oft gefunden und erlebt wie sonst nirgends.

  2. Das schlaraffische Spiel lebt davon, dass es eigentlich zutiefst unernst ist und das in einem feierlich zeremoniellen Rahmen, der solcher Intention eigentlich entgegensteht. Aber gerade dieser Rahmen, dieses überall gleiche Zeremoniell erlaubt es uns, die Verhältnisse der Profanei gegen den Strich zu bürsten, zu persiflieren und zu verspotten. Es gibt nichts schöneres, als wenn gestandene Männer die Erkenntnisse ihrer Fachgebiete auf untaugliche Gegenstände anwenden und sich begeistert solchem Blödsinn hingeben.

  3. Die ersten Schlaraffen hatten diskriminierende und herrschaftliche Verhältnisse zum Gegenstand ihres Spotts gemacht, wir suchen uns andere Sujets, von denen es auch heute reichlich gibt. Wir machen uns weiter lustig über die profane Titel-, Ordens- und Ehrsucht. Wenn da auch leider ist da einiges durcheinandergeraten zu sein scheint. Orden und Titul haben in unserem Spiel ein übermäßiges Gewichtbekommen.
    Wir haben irgendwie vergessen, dass wir mit unseren Blödsinnorden und Titul die Ehrsucht der profanen Welt verspotten wollten.

  4. Ich bin mit diesen Dingen selbst überreich gesegnet. Teilweise kann ich nichts für die Ehrungen und Titul, die unverdient über mich gekommen sind. Andere sind durch große Turneys gekommen, die mich zeitweise gereizt haben. Und wieder andere sind das Ergebnis meiner Ausflüge. Da war es einfach so, dass die Ausrittsorden ein Gerüst geben, Reise- Linien, die abzureiten sind und die Ordensverleihung zum Teil ein Treffen mit Freunden, mit denen man unterwegs war. Die Ausbeute aber ist so lala. So ist zum Beispiel der Basta I von Gewicht her eine Zumutung für einen älteren Sassen, der deutsche Freundschaftsorden ist eine ästhetische Zumutung und den Kristall von Tirol habe ich wegen unzumutbarer Hässlichkeit entsorgt. Der bayerische Freundschaftsorden, der am Hals unter der Fliege getragen wird, ist jedoch schön. Aber weil ich dann immer die Freude in den Augen der Sassen darüber sehe, dass ich diesen Orden tragen darf und sie nicht, lasse ich ihn zu Hause.

  5. Nun bin ich also ganz oben wie einst Fugato und bin dabei alt und müde geworden. Meine gesundheitlichen Probleme im letzten Jahr haben mich dazu so alt werden lassen, wie mein Pass es ausweist. Die Erreichung einer Würde wie die des Ursippenordens nach 50 Jahren Mitgliedschaft oder im 80. Lebensjahr ist eigentlich nur die ambtliche Bestätigung mit Urkundt und Zeichen, dass das Verfallsdatum nunmehr erreicht ist. Es ist vorbei!
    Ich wollte deshalb den Ursippenorden gar nicht haben. Aber mein Patensohn Pepp überzeugte mich, dass das ehernes Gesetz sei, das ich nicht brechen könne. Ärger mit dem DSR und so. Also gut!

  6. Es ist nun einmal schwierig in einer Altersgruppe, mit einem Durchschnitt von knapp 80. Auch mir entgleitet das Spiel langsam. Mir fällt nichts mehr ein. Wenn ich früher den Füllfederhalter aufschraubte, überfluteten mich die Ideen. Heute trocknet die Tinte ein.
    Ich habe das Gefühl, in unserem Altenkreis geht es anderen ähnlich. Das macht mir nicht mehr so viel Freude und den anderen vermutlich auch nicht. So sitzen wir als eine Art lebendiger Rüstungsständer herum und lassen die Dinge treiben.
    Ein Spiel, bei dem ein güldener Ball nicht zu spontaner Rede und Tat geworfen, sondern einfach an den Nächsten zum Verlesen älterer Texte weitergegeben, gelegentlich auch auf der Rostra vergessen wird, ist Realsatire. Aber in diese Richtung geht unsere Realität.

  7. Die Vergangenheit steht bei uns sehr im Vordergrund, wie auch die heutige Veranstaltung zeigt. Dabei leben wir nur im Moment, im Augenblick. Die Vergangenheit, der Rückblick dient eigentlich mehr der Schaffung von Identität als Person und als Gruppe und ist insofern wichtig. Aber sie sollte nicht mehr sein als der Augenblick, als das momentane und spontane Spiel und sollte sich vor allem nicht hemmend vor den Blick auf die möglicherweise so ganz anderen Anforderungen und Bedingungen der Zukunft legen.
    Wir Alten wollen ja, dass alles so bleibt wie es immer war. Same procedere as every year! Bleiben wir aber in unserem Spiel unter uns und kommen keine neuen Impulse, bleibt das so. Ohne Jugend, ohne neue Mitglieder, ohne neue Ideen, verkommt und verflacht unser Spiel in den ewig gleichen Ritualen und Abläufen. Der Geist bleibt in der Flasche bzw. Uhu im Wald. An der Börse, die Zukunft handelt, würde Schlaraffia aus dem Handel genommen.
    Aber alle Rückwärtsgewandtheit hilft uns ja nichts. Die großen Männer – und es sterben ja immer die Besten – sind weg und ihre Taten wie ihre Texte sind wie welke Blätter im Wind. Wir müssen uns nicht auf sie, sondern auf uns selbst besinnen. Wenn wir überleben wollen, müssen wir wieder selbst spielen und Ideen entwickeln. Wir brauchen dazu mehr Blödsinn! Und das besonders, wenn wir uns die Hoffnung erhalten wollen, dass sich Jüngere für unser Spiel interessieren könnten und – vielleicht – zu uns vielen Alten stoßen und Schlaraffen werden.

  8. Ich habe heute weder Schaumlethe noch Freiatzung spendiert. Dazu ist mir der Anlass einerseits zu traurig, andererseits wird mir von den Stinkrossfahrern zu viel der Schaumlethe weggeschüttet, und von der Freiatzung habe ich abgesehen, da den meisten Sassen das Fasten guttäte.  Das Reych braucht die Spende nicht angesichts seiner gefüllten Kriegskasse und vermutlich ausbleibenden Händeln und Fehdehandlungen. Ich werde stattdessen dem schlaraffischen Hilfswerk eine Spende zukommen lassen.

  9. Lasst mich zum Abschluss ein stimmungsvoll-wehmütiges (wenn auch etwas kitschiges) Gedicht vortragen, eins meiner schönsten, welches ich dem sehr jung gen Ahall gerittenen Rt Freut-mich gewidmet hatte:

    Wir lebten in der schönsten aller Welten!
    Entfloh‘n so mancher Nacht der Profanei
    Und schwangen uns hinauf zu Sternenzelten…
    Vorbei - vorbei!

    Bevor ihr jetzt elegische werdet: diesen Text habe ich für den lebendigen Freut-mich vorgetragen, als ich ihn bei seinem Ritterschlag dafür zum Duell forderte, dass er mir durch eben diesen Ritterschlag den bisherigen Jk Fritz entzog, mit dem ich auf vielen nächtlichen Ritten zu Abenteuern unterwegs war.

  10. Hugo-Egon Balder, den meisten von uns als großartiger Moderator der Sendung Tutti-Frutti bekannt, har kürzlich gesagt: Es wird zu wenig Blödsinn gemacht.
    Wie recht er hat.

Lulu!