Hägar zu seiner Ursippenfeyer am 13. im Windmond a.U. 150

1.

Vor vielen Jahren habe ich als Truchseß zum 33-jährigen Schlaraffenjubiläum unsres Fürstabts Fugato lässig gefext:

Noch eben durft‘ man sich als muntrer Knappe fühlen
Das Haupt von güldner Lockenpracht umkraust,
Die weich der Schultern Bärenkraft umspülen,
Und die so manche Maid voll Lust zerzaust.

Doch, plötzlich wacht man auf und merkt mit Klagen:
Vorbei der Rausch – die Zeit hat zugeschlagen.
Da steht man nun - ist Graf und ist ganz oben,
Glaubt kaum, wie alles rasch vorbeigezischt .
Man kann den Tag am Abend endlich loben
Und tät' es weiterhin am Morgen lieber nicht.

Und nun stehe ich vor euch, inzwischen bar aller blonden Locken und Bärenkräfte, und würde lieber noch einmal anfangen, als rückblickend in der Abenddämmerung und vor dem Anbrechen der Nacht den Tag zu betrachten, der, so ist das nun einmal, unwiderruflich vergangen ist.

2.

Wenn ich auf die Jahre in unserem Freundeskreis zurückblicke, kommt mir in den Sinn:25 Jahre und kein bisschen müde. Unser Spiel bis zwingt mich eher immer mehr in seinen Bann und treibt mich durch die Nächte weit umher. Im Spiel begeben wir uns in eine andere Welt, auf unsere Insel Avalon, die vor dem profanen Auge verborgen im Nebelmeer der Tagesgeschäfts liegt und nur für uns als Wissende sichtbar wird. Hier erleben wir – oft, nicht immer - die magischen Momente, wenn alles leicht, schwerelos und heiter wird. Es gibt schwere Stunden voll Trauer. Wir jubeln vor Begeisterung und weinen vor Schmerz, aber auch vor Glück. Und immer schwindet der Augenblick. Zurück in der Profanei bleibt uns nur die Erinnerung, wobei die glücklichen Stunden die sind, die mehr haften.

Unser Ehrenschlaraffe Emil (Erich Kästner) würde vielleicht schreiben:

Melancholie und Freude sind oft Schwestern
Und die Erinnrung gleicht verglühtem Schnee.
Mit jedem Pulsschlag wird aus heute gestern.
Auch Glück kann weh tun. Auch Uhu tut weh.

In unserem Spiel spielt jeder seine Rolle und diese Rolle ändert sich - mit ihm - in der Zeit. Ich habe in der Rolle als ungebärdiger und kampfeslustiger Wikinger – damals ja mit rotem Bart etc. – angefangen und es damals sicher übertrieben. Früher liebte ich Duelle. Zu Zeiten führte alleine meine stille Anwesenheit aus zu Kampfgetümmel, daher der schöne Titul „Scheuer­pfahl“. Auch bin ich vom Wesen her Spötter und Satiriker, den es reizt, feierliche Stimmungen zu brechen und Posen zu entlarven. Das belebt die Veran­staltung, aber es verstört auch und verletzt manchmal. Ich weiß das. Der Spötter wird gerne gesehen, aber wenig geliebt. Aber jetzt hilft da nichts mehr.

Heute, da ich alt und müde werde und mir nur noch wenig einfällt, sehe ich dass ein Paradigmen­wechsel hin zum (auch weniger anstrengenden) lyrischen Fach, wohl auch gar nicht rüberkomme würde, da man hinter meinen ggf. tief­empfundenen Ergüssen immer irgend welchen hintergründigen Spott wittern würde.

Dabei gibt es durchaus auch einen anderen Hägar. Ich betrachte gelegentlich ein vergilbtes Blatt, mit alter Schreibmaschine geschrieben, in der mir ein Freund zu einer Faust-Fexung schrieb:

Dein Preislied an Uhu hab' ich gelesen,
Und ich bekenn': Es hat mich angerührt.
Es ist ein Hauch von Hägars wahrem Wesen,
das man da hinter dem Gesagten spürt.

Me-Toulus! Ein ernster Hägar denkt heute auch an ihn und an all die Freunde, die so schön mit ihm gespielt haben und die, in unserem Sprachgebrauch, in den lichten Gefilde Ahalls entschwunden sind. Schöne und traurige Stunden, glückliche und schmerzliche Erlebnisse. Tempi passati. Aber es war eine wunderbare, eine tolle Zeit.

3.

Unser Ehrenschlaraffe Faust hätte das vielleicht in die Worte gefasst

Was ich dort erlebt, genossen,
Was mir all dorther entsprossen,
Welche Freude, weiche Kenntnis,
Wär‘ ein allzulang Geständnis!
Mög‘ es jeden so erfreuen,
Die Erfahrenen, die Neuen!

Hier wäre unser Reychsfürst Brummerich, wie ich ihn gekannt habe, in Tränen aus­gebrochen und hätte nur noch hervorgestoßen: „Wie könnt‘ ich dein vergessen, schlaraffisches Wunderland!“.

4.

Natürlich will und werde auch ich Das Wunderland nicht vergessen und bis zum letzten Atemzug Schlaraffe blieben. Aber die überbordende Emotionalität ist mir, wie ihr wisst, eher fremd. Der Spötter hält immer Abstand, auch zu sich selbst.

Mein kleiner Enkel Anton saß kürzlich auf meinem Knie und hörte zum wiederholten Mal die Geschichte, wie ich mit dem gewaltigen Schwert an der Wand in meinem Arbeits­zimmer als Jungritter zur Drachenhöhle zog, die Jungfrau tötete und den Drachen mit nach Hause nahm. Unvermittelt fragte er, mit unschuldigen, großen Augen: „Opa, warum hast du eigentlich so wenig Haare?“
Da hatte mich die Zeit wieder eingeholt. Die früheren Verdienste verblassen vor dem Elend des Alters. Und da mir die Perspektiven so überaus deutlich gemacht worden waren, habe ich mir wenigstens gedacht:

Besser, alle Haare weg amüsiert
Und das letzte Pulver verschossen.
Als wenn dich im Alter noch Haarwuchs ziert -
Und du hast nicht dein Leben genossen.

Ich habe!  Euch, liebe Freunde, gilt mein Dank, dass ihr in all den Jahren mit mir gespielt habt.  Ich war sicher oft anstrengend und danke euch auch, dass ihr mich über die langen Jahre ertragen habet. (Wenn die Stunde nicht so feierlich wäre, würde ich anfügen: „ich habe euch ja auch ertragen“, aber das unterlasse ich heute.)

Ich freue mich die nächsten fünfundzwanzig gemeinsamen Jahre! Lulu. Freunde