Ahnherr auf dem Gleyberg a.U. 158

Seid mir gegrüßt, ihr Ritter und ihr Sassen,
Die ihr den Weg zu meiner Burg gemacht.
Wollt euch des Gleybergs Lethe munden lassen
Und frohes Spiel sei diese Sippungsnacht.
Man kann die vielen Häupter ja kaum zählen,
Und wenn die Kosten dafür mich auch quälen,
Behagt mir‘s, wenn an meiner Tafel heute
Sippt eine so gewalt‘ge Rittermeute.

Denn einsam muss mir sonst die Jahrung bleiben.
Zum Gleyberg-Fest nur holt ihr mich allein.
Nie lud, mit Gruß und Hand zuvor, ein Schreiben
Des Reychs zu andren Sippungen mich ein.
Liebt ihr mich nicht? Ich fühl‘ mich oft vergessen
In meiner Gruft, die nur ein kaltes Loch.
Doch warn‘ ich euch. Seid nur nicht zu vermessen
Postfaktisch gibt’s mich nämlich immer noch!

„Der Gyssen Ahnherr muss nicht alles wissen“,
Denkt ihr euch wohl. Doch dass ihr deutlich seht:
Nichts bleibt vertraulich bei den guten Gyssen
Ich weiß genau, was immer vor sich geht!
Geheimniskrämerei ist nie von Dauer.
Als Ahnherr hat man schließlich seine Freaks!
In allen Reychen sitzen Whistleblower;
Und auch die Hessenburg hat ihre Leaks.

So weiß ich alles, was sich zugetragen
Was immer man im Gyssen-Reyche treibt.
Obwohl das Reych sich müht, ganz ohne Fragen,
Dass mir die Sicht darauf vernebelt bleibt.
Ich hab Beweise, liebe Rittersleute:
Ihr schickt mir stets des Marschalls Protokoll!
Doch les‘ ich niemals mehr als eine Seite
Und Reime sind nicht meine Kragenweite;
Drum ist, was ich daraus erfahr‘, nicht toll.

Auf eurem Thron sitzt, wie ich hört‘, ein Neuer.
Nicht von UHU, vom Schemel mehr erhöht.
Doch hat er noch im Herzen sehr viel Feuer
Wenn er vor euch auf hoher Warte steht.
Zwar ist er aus der Sicht der meisten Sassen
Ein Kind, die sechzig sind ja grad geschafft!
Und doch – man muss es ihm ganz einfach lassen:
Er macht es gut - ganz einfach zauberhaft.

Gelernt hat euer Ceremonienmeister
Spricht „Wettereinba aurea“ jetzt fehlerfrei
Ein langer Weg! Halalilodri heißt er.
Und nur ein Schelm denkt sich etwas dabei.
Die Truchsesse sind nett vor Thrones Stufen.
Verdienen Ahnen sich und reden Schmus,
Statt ein  "memento mori" laut zu rufen.
Gut, dass das Hamlet nicht erleben muss.

Zwei Reychsbeamte tut ihr zu sehr schonen:
Den Junkermeister Muss einsam an der Junkertafel wohnen
Wo er betrübt in leere Runde schaut.
Der Schulrat Er sollte prüfen! Wär‘ es auch den Thron!
Sie hocken da und tut das Reych nur kosten.
Lasst sie was tun für Würden, Ambt und Lohn.

Nehmt Junge auf! Dann hab’n sie was zu schaffen
Was Beiden sicher auch viel mehr gefällt.
Werbt mehr um jungen Nachwuchs für Schlaraffen.
Ja, trommelt ruhig in der profanen Welt.
Und blast den Staub zuvor von euren Sitten.
Seid offener für jugendlichen Streich,
Dann sitzt bald Nachwuchs wieder in der Mitten
Und Perspektive kriegt das Gyssen-Reych.

Ihr sippt seit Neustem schon um halbe acht
Und macht den Tag‘ zur Nacht so, ganz geschwind.
Wer Weib und Kind hat und wer Arbeit macht
Hat Müh‘ dass er so früh schon zu euch findt.
Warum, frag ich, beginnt ihr nicht um zweie
Das gäbe für mich bei euch Sinn und Reim
Dann wärt ihr um Klock sechse schon als Freie
Zurück zum Abendbrot im Altersheim.

Fast fand ein Streich in einer Fehd‘ sein Ende:
Der Gyssen Schmierbuch wurde maltraitiert.
In Hägars Kunstwerk dort zum Jahresende
Hat Bubenhand ein Zeichen reingeschmiert.
Ich will den Schuldigen hier gar nicht nennen
(Freund Kemm-Nix senkt ja auch beschämt den Blick)
Um ein Haar sah man Wetzlars Burg schon brennen,
Doch Hägar hielt den Zorn des Reychs zurück;

Er sprach: Der Bube weiß es halt nicht besser
Tat Kunst, Kultur ja leider nie studiern.
Sein Werkzeug ist, geklagt sei’s, halt das Messer
Wie soll er da bei Kunst die Ehrfurcht spürn!
Symbolik satt lag in dem weißem Bilde:
Von Unschuld bis zu Himmelsweiten hin.
Doch Hägar kennt ja neuerdings nur Milde
Und hat ihm voller Großmut ganz verzieh’n. ‚

s geht ihm halt so, wie allen Rittern noch:
Alt, müde, zahnlos – was das Alter bringt
Im Schlaf von Sassen gleichen Sinns umringt.
Die Fürstengruft! Des Reyches schwarzes Loch,
Aus dem nicht Licht noch Ton nach außen dringt.
Doch wollt ihr Nachwuchs, müsst ihr Lenden stählen,
Den Schwertarm üben und die Streitlust schür‘n
Und euch für eine Sippung auch mal quälen
Dass Spiel und Spaß Schlaraffia dominier‘n.

Wollt ihr in schöner Ruh‘ nur konsumieren?
Geht ins Theater lieber dann und wann.
Für blühend‘ Reych müsst ihr schon mehr probieren
Da müsst ihr auf der Bühne selber ran.
Und nicht nur fremde Texte runterleiern!
Nein, auch mal eigene Erfolge feiern.
Das macht zwar Arbeit. Und des Übens viel.
Doch bleibt nur so im Reych ein lustvoll Spiel.

Schlagt heute wie man mir (ihr wißt‘s!) bericht‘
Drei alte Fahrensleut zu Ehrenrittern.
Das ist zwar schön. Doch Zukunft bringt das nicht.
Da kann der Gleyberg noch so prächtig glittern.
‚s bangt euer Ahnherr um die Unterhaltung
Wenn hier mal keine Ritter mehr zu sehn
Und auf dem Gleyberg keine Festentfaltung -
So kann das einfach nicht mehr weitergeh’n.

Macht endlich was, dass euer Ahnherr lange
Noch Ritter auf dem Gleyberg grüßen mag.
Das nächste Mal, wenn ich euch hier empfange
Erwart‘ ich einen echten Ritterschlag.
Mit jungen Burschen, die noch etwas wagen
Die wach und munter in die Gegend schau‘n
Die noch nach Streit und Abenteuer jagen
Auf die das stolze Reych kann Zukunft bau‘n.

Schickt mir die Fürstengruft zur Aufbewahrung
Bei mir schläft‘s sich so gut wie anderswo!
Ich hätt‘ Gesellschaft für den Rest der Jahrung
Und Reych und Ahnherr wären beide froh. -
Zurück geht’s nun in meine kalte Klause.
Denkt über meine Worte nach zu Hause.
Nett, dass ihr kamt zu meiner Festung heute.
Seid mir gegrüßt, ihr guten Rittersleute!