Ahnherr auf dem Gleyberg a.U. 164

Wo bin ich hier? Ich sollte doch
Die Ritterschar begrüßen,
Die auf den Gleiberg zu mir hoch
Geritten ist von Gießen.

Doch schau ich mich im Saale um
Dann kommen mir die Zweifel
Es sitzt nur altes Volk herum!
Was ist denn das, zu Teufel?

Zu meiner Zeit biss man ins Gras -
Wenn tapfer man und fleißig
Und guten Rittermut besaß -
Da war man höchstens dreißig.

Mit vierzig war man grau und dick,
Der letzte Zahn am faulen.
Und junge Weiber tat ein Blick
Auf uns sofort vergraulen.

Der Fünfziger, gebrechlich sehr,
Ließ sich als Greis verehren.
Und hat‘ er Glück, so durfte er
Sein Gnadenbrot verzehren.

Hat einer über sechzig Jahr
Am Gleiberg noch gesessen.
Dann war er aller Freuden bar,
Hat ihn Freund Hein vergessen!

Doch lebt ihr alle, wie ich seh‘,
Zumindest noch ein wenig.
Ja, ist die Medizin nur schee,
Dann ist das Alter König.

Fast kam’s mir eben vor als wär‘,
Hier noch ‘ne Gruft (im Giebel?).
Doch sehe ich mich da umher
Ist mir das nicht plausibel.

Nicht Kälte, auch nicht Moderduft!
Nein, Licht und Wärme zeigen:
Das hier ist keine zweite Gruft -
Ein Fest scheint hier zu steigen!

Schwer ist’s für mich, der neuen Zeit
Gebräuche zu verstehen.
Doch Burgherrnpflicht macht mich bereit,
Es höflich anzugehen!.

So grüß ich auf dem Gleiberg euch
Verlebt hier schöne Stunden,
Lasst Speis und Trank und andres Zeuch
Euch auf das beste munden.

(höhnisch)
Zum Schlachtfeld diene euch der Tisch,

Lasst Heldentaten winken!
Dort kämpft nun, eifrig, mutig, frisch
Mit Essen und mit Trinken.

Seht euch dabei mit Messern vor,
Wer damit spielt, kann leiden!
Manch kühner Ritter-Senior
Tat sich daran schon schneiden.

Ja, scharfe Sachen sind zu viel,
Für hochbetagte Sassen.
Tut lieber, was nicht Lust und Spiel,
Der Jugend überlassen!

Ihr könnt nicht mehr zum Kampfe ziehn,
Mit schwachem Arm, ihr Alten,
Um Jugend müsst ihr euch bemüh‘n
Die noch ein Schwert kann halten.

Mit dieser Truppe, wie sie is‘,
Lasst euch das von mir sagen,
Gibt es, und das ist ganz gewiss,
Ausschließlich Niederlagen.

Und holt ihr auch Verstärkung her
Aus der Wormatia Gauen,
Hilft euch das leider auch nicht mehr –
Man wird euch nur verhauen.

Auch nutzen Tituls da nicht sehr,
Nicht Orden, auch wen’s ville.
Des Reyches Zukunft braucht viel mehr:
Der Jugend Kraft  und Wille!

Ach, holt euch Jugend vor den Thron,
Das nur führt zum Gelingen!
Das Reych kann nur ein frischer Ton
Zu neuen Kräften bringen.

Dem Junkermeister stärkt den Arm
Gebt Nachwuchs ihm in Haufen
So dass er, das es Gott erbarm‘,
In Arbeit soll ersaufen.

Drum schaut, dass ihr jetzt alle Mal,
Wenn zu den Festgelagen,
Ihr kommen wollt in diesem Saal
Ist wieder Ritterschlagen!

Sonst ist das Warten wenig klug,
Auf euren Ahnherrn, teuer.
Von Alten hab‘ ich grad genug
Im meinem Gruft-Gemäuer.

(zum Fungierenden gewendet)
Du, Kerl, der du als Hauptmann trumpst,

Auf deiner hohen Warte
Sieh zu, dass du mir nur noch kummst
Mit einer jungen Garde.

Mein Gruß, ihr edlen Rittesleut,
Seid mir doch liebe Gäste.
Seid nicht so laut am Abend heut‘
Auf dass der Schlaf mir kommt erneut
Tief in des Gleibergs Feste.