Allschlaraffisches Funke-Turney a.U. 156

Freundschaft, Kunst und Heiterkeit
Friedrich Schiller (ES Funke) als Vordenker Schlaraffias?

Bei Arbeiten im Deutschen Literaturachiv in Marbach fiel mir ein Konvolut in die Hände, in dem ich zwischen vielen nichtssagenden Blättern einen bis dato nicht bekannten Brief Schillers an Goethe fand. Dieser Brief enthält das Fragment eines Gedichts, in dem Schiller das ideale Sein in einer Art Schlaraffenland entwirft, das nach seinen Gedan¬ken auf den Säulen Freundschaft, Kunst und Heiterkeit seine natürliche Grundlage findet. Man stellt sich unwillkürlich die Frage: Haben unsere Gründungsväter diesen oder ähnliche Texte Schillers gekannt? Muss gar die Gründungsgeschichte Schlaraffias neu geschrieben werden?

Der Brief hat den Wortlaut:

Aus der bisherigen Abwechslung und Geselligkeit bin ich auf einmal in die größte Einsamkeit versetzt und auf mich selbst zurückgeführt. Ich wende diese Stille dazu an, über meine tragisch-dramatische Pflichten nachzudenken. Nebenher entwerfe ich ein Szenarium einer idealen Welt, um mir ein Ziel vor Augen zu halten, wofür sich das ganze Streben lohnt.

Ich sende Ihnen hier einige Gedanken zum Sinn des Seins, ein kleines Fragment, das ich bald auszuarbeiten hoffe. Als Helden habe ich nicht, wie sich das eigentlich anbietet, Prometheus gewählt, der der Menschheit zwar mit dem Feuer die Kultur brachte, sie aber doch zugleich damit den Pflichten des Alltags aussetzte. An seine Stelle habe ich Ganymed gesetzt. Als das Idealbild männlicher Schönheit verkörpert er mir eine ideale Welt, in der er aber - wie ich mich selbst fühle - unfrei ist. Er soll sich deshalb im "Traum des Ganymed" von allen Pflichten, eigentlich von allem Profanen, befreien und frei träumen, indem er das Grundlegende im Ideal des Lebens sieht und erfährt, nämlich Kunst, Freundschaft und Heiterkeit. Wenn der Alltag schon so trüb ist, sollten wir doch ein geistiges Elysium suchen, eine Art Schlaraffenland für Seele und Gemüt, das uns unser Liedchen pfeifend durch Feld und Wald streichen läßt und in dunklen Stunden Schirm und Schutz bietet.

Leben Sie recht wohl, mein theurer Freund. Mich umgeben noch immer die schönen Geister, die Sie mir bei Ihrem letzten Besuch hier gelassen haben, und ich hoffe immer vertrauter damit zu werden. Leben Sie recht wohl.

Jena, (Datum nicht lesbar)

Sch.

Dem Brief lag das folgende Gedicht bei:

Der Traum des Ganymed

Auf des Olympens heilgem Grund
Und unter blauem Zelt,
Zu schattig-kühler Morgenstund,
Fernab von aller Welt,
Schlief, sanft von lindem Wind umweht,
Der Götter Liebling, Ganymed.
In Morpheus Armen sanft gewieget
Der schöne Jüngling träumend lieget.

Früh von des Tages erstem Schein,
Bis spät die Vesper schlug,
Lebt’ er der Götter Dienst allein,
Bringt ihnen Trank und Krug.
Und sprach ihm Zeus: » Mein Freund, schenk ein!«
Da eilt er, um ihm gut zu sein.
Um Krug auf Krug heißt man ihn gehen,
Muß er des Mundschenks Dienst versehen.

Nun ruht er von des Tages Fron
Erschöpft, der Welt entrückt.
Im Schlaf erhält er seinen Lohn:
Ein Traumbild, das erquickt.
Führn Oneiroi ihn in die Welt,
Die Tages Mühen nicht erhält.
Befreit von dem profanen Streben.
Kann seine Seele sich erheben.

Und ledig aller Dienerpflicht
Macht er im Flug sich auf,
Hat noch des Traumes Ende nicht
Erreicht im schnellen Lauf,
Da hört er wie Sirenen Klang
Der Musen lieblicher Gesang.
Der alle lädt, die ihn vernommen,
Als Gäste in ihr Haus zu kommen.

Als er's betritt erfasst ihn dort
Betörend Staunen ganz.
Er sieht der schönen Künste Ort
Mit Spiel, Gesang und Tanz.
Erbebend schaut er um und um,
Ein Haus so wie ein Heiligtum.
"Mag mir's," ruft er, "der Himmel zeihen,
Ich will mich ganz den Künsten weihen."

Doch zu Gefilden führt sein Flug.
Wo neues Glück ihm dräut.
Dionysos reicht ihm den Krug,
Mit dem er Freundschaft beut.
In seiner Brust tönt froher Klang,
Allmächtiger Gefühle Gang.
Und sein beredter Blick läßt ahnen
Den Weg zu Labyrinthenbahnen.

"Zu allem, welches Glück mir bringt,
Fehlt eins noch", ahnt er bang.
Als von der Göttertafel klingt
Ein Lachen laut und lang.
"Ach, Freundschaft ", denkt er da "wie Kunst,
Bleibt ohne frohen Sinn umsunst!
Es malt die Schönheit dieser Erde.
Des Lachens heitere Geberde."

Und das Gestirn steigt auf und brennt.
Seht! Ist's Seraph, ist's Aar?
Ein Flügel senkt sich über ihn
Und bietet Lindrung dar.
"Wer", denkt er, "gab den Schatten mir?
Was ist das für ein Wundertier?
Das uns, die um Erleuchtung ringen,
Beschützt und schirmt mit seinen Schwingen!"

Hier bricht das Gedicht ab. Friedrich Schiller hat nicht ausgeführt, welcher Wundervogel das kühlende Labsal spendete und so Ganymed seinen Traum bewahrte. Es ist auch nicht überliefert, warum er den Text unvollendet ließ. Bemerkenswert ist, dass Goethe in seinem Gedicht "Die Geheimnisse" bereits 1785 einem ähnlichen Gedanken (ideeller Montserrat) folgte, der aber ebenso wie Schillers Ganymed Fragment blieb und das er nicht veröffentlichte. Gab es zwischen den beiden Dichtern die Übereinkunft, dass die Zeit noch nicht reif sei für solche Bestrebungen? Dass diese nicht in die Ära der Adelsgesellschaften passten sondern ein freiheitliches Bürgertum voraussetzten?

Schillers Vision des idealen Lebens wurde so erst ein Menschenalter später in Prag im Jahr 1849 Wirklichkeit. Nach Weimar kam die Idee des ES Funke erst a.U. 26, im profanen Jahr 1885, zurück.